07 – Einmal Nordsee mit allem, bitte
Montag, 5:30 Uhr
Es ist dämmrig, kalt, und wir hängen im Nord-Ostsee-Kanal schlaftrunken hinter einem Frachter wie ein Entenküken hinter Mama. Der Kanal verabschiedet uns mit einem überraschend fiesen Querstrom, ein paar garstigen Stahlpollern und – natürlich – Regen.
Im NOK-Schleusenbecken von Brunsbüttel winken wir dem Nieselregen nochmal zu und drücken die Daumen: toi toi toi. Doch was folgt, ist eine Mischung aus Regendusche, Mini-Dodger-Kuscheln, Regenpause feiern und wieder von vorne. Wind, Welle und Strömung veranstalten ein außerordentliches Mitarbeitertreffen – leider ohne uns.
Aber: Wir sind draußen! Auf der Nordsee!
Irgendwann, kurz nach Mitternacht
Tuckern wir pantoffelheldenhaft unter Motor und mit Rückenstrom an Juist vorbei durch die rabenschwarze Nacht. Hoffentlich schwimmt da nichts, das in keiner Karte steht, kein AIS-Signal oder zumindest Positionslichter hat. Mit den Fischernetzen ist es eher wie Bingo. Unser Zickzackkurs bis Texel sieht am Ende aus wie eine Alpenüberquerung.
Mittwoch, gegen 14 Uhr
Machen wir in der hintersten Ecke des Waddenhavens Texel fest. Danach folgt der ganz normale Wahnsinn:
Segel klarieren, Ölzeug lüften, Wäsche aufhängen, Logbuch schreiben, Hafengeld zahlen, Dieselversorgung checken, Landstrom legen, kochen, umfallen.
Nach einem Hafentag bei Starkwind in Texel
Inklusive einem sehr inspirierenden Besuch im Freilichtmuseum, geht es weiter Richtung England.
Querung Ärmelkanal
Freitag, 6:30 Uhr
Erstmal Richtung Süden, und dann am Samstag kurz vor Mittag abbiegen für die Querung des Ärmelkanals auf Höhe Blankenberge (Belgien). Kein anderes Sportboot weit und breit, und uns drängt sich die Frage auf:
„Sind wir hier eigentlich die einzigen Bekloppten?“
Die Querung fordert uns richtig heraus: 15–20 Knoten Wind, in unseren Augen ruppiger Seegang und eine Armada an Frachtschiffen in den Verkehrstrennungsgebieten, die uns keine Sekunde Entspannung lässt – von der Kälte selbst im dicksten Ölzeug ganz zu schweigen. Segeln bedeutet hier: ständig Kurs und Geschwindigkeit neu abwägen, unter Segeln ausweichen bei ordentlich Welle – eine Übung in Konzentration und Stehvermögen.
Am Ende haben wir weiche Knie von den ständigen Ausfallschritten und schwitzen das erste Mal richtig, als wir dem letzten Frachter nur knapp ausweichen können, bevor er uns auf die Schippe nimmt.
Dank Fuchur und unserem treuen mechanischen Windpiloten meistern wir die Überfahrt sicher, auch wenn das Schlafdefizit spürbar wächst. Schließlich erreichen wir die englische Küste – erschöpft, aber stolz.
Vor allem, weil wir es unter Segeln und ohne Motor geschafft haben. Ein echter Meilenstein für uns!
Da ist die Straße von Dover bei 3 Knoten Gegenstrom in der Nacht doch fast ein Klacks.
Ankommen vor England
Vor Anker vor den Seven Sisters – wegen 7 Metern Tidenhub mit 50 Metern gesteckter Kette (das Manöver bei 2 Knoten Querstrom eine Sache für sich) – genießen wir endlich den Moment:
England voraus, die Sonne verabschiedet sich monumental hinter dem Kliff zu unserer Rechten, und das beruhigende Gefühl, den ersten großen Sprung geschafft zu haben. Wir dachten immer: „Sowas machen doch nur Profis, nicht wir!“
Also erstmal eine Blitzdusche im Cockpit (brrr), Kartoffeln mit Solarkraft backen und ein freundliches Einklarierungsgespräch per Telefon zur Bestätigung der eingereichten Formulare.
Heute stehen nur noch ein paar ernste Mitarbeitergespräche mit den ewig im Clinch liegenden Crewmitgliedern Starlink und NordVPN an, das AIS braucht Zuwendung und dem Autopiloten müssen wir hoffentlich schlicht mal die Meinung sagen und ihm eine kalte Dusche verpassen– bevor es kurz vor Sonnenuntergang weiter Richtung Westen geht.
Wind, Welle und Strömung sind sich einig: Wir sind hier nur auf Zeit geduldet. Die Pläne macht letztendlich die Natur.
Fazit
Einmal Nordsee mit allem, bitte – Sturm, Regen, Schiffe, Schlafmangel, Nervenkitzel, Stolz und Sonnenaufgang inklusive.
Und wenn der Weg nach Texel aussieht wie eine Gebirgswanderung und man nachts beim Frachter-Slalom das Schwitzen lernt, dann weiß man:
Der Ärmelkanal hat uns nicht geschluckt. Fuchur fliegt – und wir mit ihm.
Weiter geht’s!
Wir melden uns wieder.
















Hier die Musik dazu: